Was braucht es mehr als drei Akkorde, um das System zu stürzen? Nun, die Selbstermächtigungsstrategien für die Felder der popkulturellen Produktion basieren auf dem Prinzip des Dilettantismus. Diese Qualifikation unterscheidet sich vom Merkmal der Naivität, denn mit der Vorstellung, jedeR kann Musik machen und eine Band gründen, wird dem elitären Kreis der MusikproduzentInnen und Popmusik-PerformerInnen jeglicher Anspruch auf Verherrlichung, Mythifizierung und Kommerzialität genommen. Mit dem Do-it-yourself-Prinzip schlüpft das Publikum in die Rolle der ProduzentInnen. In der Folge entstehen eigene Ideen, die in einer Band, einem Fanzine, einem Label etc. münden, was wiederum zu einer Vernetzung, einem Netzwerk führt, in der die Selbstermächtigungsstrategie es erlaubt, eine kritische Haltung gegenüber den Funktionsgesetzen der Politik und der Ökonomie einzunehmen. Das wiederum führt zu einer veränderten Position des Publikums: Die Handelnden versuchen, die wirtschaftliche Übermacht der Majors zu untergraben, indem sie die musikalische Produktion nicht länger unter das ökonomische Diktat der Gewinnmaximierung stellen und Formen einer Gegenöffentlichkeit entwickeln, die oppositionelle Meinungen und Lebensalternativen ausdrücken. Die Frage ist nun: Ist Musik politisch? Musik ist niemals reine Form. Sie ist stets Ausdruck existentieller tiefenpolitischer Inhalte, die alles andere als beliebig sind.
Das Politische an politischer Musik kann sichauf einer strukturellen Ebene entfalten, über die Art und Weise, wie Musik und ihr Umfeld organisiert werden. Durch alternative Arbeits-, Auftritts- und Veröffentlichungsstrategien können MusikerInnen als „politisch“ wahrgenommen werden, ohne dies in ihren Songtexten oder medialen Aussagen ständig betonen zu müssen – das Politische bleibt stets über den Rahmen präsent.
Musik verändert die Welt, indem sie unser Verhältnis zur Welt verändert. Und sie macht dies auf eine geheimnisvolle, sprachlich kaum fassbare, eine die Tiefenschichten unseres Ichs beeinflussende Weise. Selbst die schärfste politische Aussage geriet unter den Maßstäben der Musikindustrie zur leicht konsumierbaren Ware, wurde zu einer „fetischisierten, affirmativen Stütze der etablierten Ordnung“. Musik als Warencharakter. Musik ist unbezweifelbar eine mächtige universelle Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird und die die Menschen emotional tief bewegen kann. Insofern ist sie auch ein hervorragendes Medium politischer Kommunikation. Allerdings schafft sie ihre Inhalte nicht selbst, sondern schöpft sie aus der Welt. Deshalb kann Musik zur Rekrutierung neuer politischer Aktivisten nur dann genutzt werden, wenn der gesellschaftliche Nährboden hierfür vorhanden ist. Nur wenn Form und Inhalt kompatibel sind, wird Musik zu einem wirksamen politischen Kommunikationsmittel.
Musik wird heute nicht mehr entdeckt, es ist ein Wegwerfprodukt, beschränkt auf einen Klingelton oder als Anklick-Appetizer, überall zugänglich und mit den verschiedensten technischen Errungenschaften überall nutzbar. Wenn Musik für die Masse produziert und konsumiert wird, sich also eine breite Schicht bildet, werden kommerzielle Musikproduktion ausgeweitet und künstlich Moden hervorgebracht, die den Konsum und die KonsumentInnen lenken und im Verhalten beeinflussen, was den Profit der Unternehmen maximiert.
Wer das System stürzen will, der kümmert sich lieber um Selbstgemachtes, was ich ausdrücklich zum Nachahmen empfehle. Es geht ums essentielle, nämlich um Musik und Spaß und weniger um Industrie und Profit. Um den vielfältigen Dimensionen politischer Musik gerecht zu werden, ist es hilfreich, sich Musik als ein ganzes System vorzustellen, das von der musikalischen Produktion über Vertrieb und mediale Vermittlung bis hin zur Rezeption und Interpretation durch die ZuhörerInnen reicht. Auf jeder dieser Ebenen kann Musik mit politischem Gehalt angereichert werden – ein komplexer Prozess, der die Auseinandersetzung mit politischer Musik jedoch umso faszinierender macht.
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