Ärzte gegen Tierversuche

Wenn ich jetzt die Wahl hätte, ob eine Ratte stirbt oder ein wirksames Mittel gegen Krebs gefunden wird …“
…ist wohl so ziemlich das häufigste Argument, dass in Diskussionen zum Thema Tierversuche gebracht wird. Mal ganz davon abgesehen, dass eine solche Frage bereits eine auf den Menschen bezogenen Sichtweise und Hierarchisierung (der Mensch ist „besser“ und deshalb „wertvoller“ als das Tier) enthält, ist das eine Frage die sich eigentlich überhaupt nicht stellt, denn leider hat auch die jahrelange Forschung an Tieren bisher nicht dazu geführt, dass Mittel gegen Krankheiten wie Krebs oder AIDS gefunden wurden. Einiges was sich bei Tieren wirksam zeigte, zeigte nicht dieselbe Wirkung beim Menschen oder war sogar schädlich. Der Contergan-Skanadal ist dafür wohl das bekannteste Beispiel ( 1 ). Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sind einfach zu groß, Ergebnisse lassen sich teilweise nicht mal von Ratten auf Mäuse übertragen, wie sollen diese Ergebnisse dann von Ratten auf Menschen übertragen werden? Die Frage „ Du oder die Ratte? “ ist also völlig hinfällig.
Obwohl es mittlerweile Forschungskonzeptionen gibt, die völlig ohne Tierversuche auskommen und gute Ergebnisse bringen wird häufig immer noch auf Tierversuche gesetzt. Auf der einen Seite sind Tierversuche für die Pharmakonzerne eine Möglichkeit sich gegenüber möglichen Nebenwirkungen ihre Medikamente abzusichern: Falls ein Medikament eine unerwartete Nebenwirkung hat, kann der Konzern darauf verweisen, dass dies für ihn nicht vorhersehbar war, man hätte das Medikament in vielen Tierversuchen getestet. Auf der anderen Seite sind Tierversuche Teil eines sich selbst bestätigenden und reproduzierenden Wissenschaftsbetrieb. Wissenschaftliche Arbeit hat viel mit der Vergabe von Forschungs- und Preisgeldern sowie der Veröffentlichung von Artikeln und Forschungsergebnissen in renommierten Fachzeitschriften zu tun. Da Tierversuche immer noch besonders anerkannt werden, sind sie sowohl ein gutes Mittel um Forschungsgelder zu erhalten, als auch um den eigenen Ruf als Wissenschaftler_in positiv zu fördern ( 2 ). All das behindert massiv den Einsatz tierversuchsfreier Methoden.
Der Verein Ärzte gegen Tierversuche setzt sich auf wissenschaftlicher Ebene mit der Problematik auseinander und versucht eine tierversuchesfreie Wissenschaft zu fördern und die Öffentlichkeit für die Problematik zu sensibilisieren. Spannend ist, dass hier Wissenschaftler_innen selbst aufzeigen, dass Forschung ohne Tierversuche die bessere Wissenschaft ist. Der Verein gibt diverse Infomaterialien heraus (zu finden unter www.aerzte-gegen-tierversuche.de ). Die Diplombiologin Silke Bitz hat meine Fragen beantwortet.
© Regula

„Es ist ethisch nicht zu rechtfertigen, Tiere zu Konsumzwecken zu gebrauchen und wie Ware zu behandeln.“

Affe mit Elektroden und Kopfhalter in einem Primatenstuhl. Foto: AESOP Project

Seit wann sind Sie für Ärzte gegen Tierversuche tätig und was war Ihrer persönliche Motivation gerade diesem Zusammenschluss beizutreten?
Seit 2009. Für die Abschaffung der Tierversuche engagiere ich mich aus der wissenschaftlichen Überzeugung heraus, dass Tierversuche ein schlechtes und darüber hinaus gefährliches System sind. Tierversuche und gute, ethische Wissenschaft schließen sich aus. Daher halte ich es für wichtig, dem erbarmungslosen Ausbeutungssystem entgegenzuwirken. Tiere für eine zweifelhafte Forschung zu opfern ist unethisch und vollständig abzulehnen.

Glauben Sie das ein spezieller Zusammenschluss von Ärzte_innen gegen Tierversuche sinnvoll ist? Wäre es nicht besser gesellschaftlich breiter aufgestellt zu sein und schließt man nicht so viele Tierversuchsgegener_innen aus?
Es ist gut und wichtig, dass es verschiedene Vereine/Organisationen gibt, die sich für Tierrechte und die Abschaffung von Tierversuchen einsetzen. Unsere Ärztevereinigung ist ein bundesweiter Zusammenschluss aus Ärzten, Tierärzten und Naturwissenschaftlern, die Tierversuche aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen ablehnen. Der Verein engagiert sich für eine moderne, humane Medizin und Wissenschaft ohne Tierversuche, die sich am Menschen orientiert und bei der Ursachenforschung und Vorbeugung von Krankheiten sowie der Einsatz tierversuchsfreier Forschungsmethoden im Vordergrund stehen. Kein Tierversuchsgegner wird hierbei ausgeschlossen. Im Gegenteil: jeder kann Mitglied werden und uns aktiv bei unserer Arbeit unterstützen. Wir arbeiten auch mit lokalen Gruppen zusammen, wünschenswert ist ein Aufbau weiterer solcher Arbeitsgruppen, mit denen wir uns gemeinsam für ein Ende aller Tierversuche einsetzen.

Wie positioniert sich der Verein zu andern Tierrecht-Themen (Beispielsweise der Konsum von tierischen Produkten)?
Es ist ethisch nicht zu rechtfertigen, Tiere zu Konsumzwecken zu gebrauchen und wie Ware zu behandeln. Egal ob im Zirkus, in der Landwirtschaft oder in Tierversuchen – Tiere sind fühlende Lebewesen, die ein Recht auf ein unversehrtes Leben haben sollten.

Die Abschaffung der Tierversuche in Deutschland wäre ein riesiger Erfolg. Dennoch würden zahlreiche Länder weiter an Tierversuchen festhalten. Da EU-Recht über nationalem Recht steht, wäre die Reichweite eines solchen Gesetzes weitaus größer. Arbeitet Ärzte gegen Tierversuche auch auf EU oder gar weltweiter Ebene? Gibt es in anderen Ländern ähnliche Zusammenschlüsse, mit denen Ärzte gegen Tierversuche zusammen arbeitet?
Die EU hat aktuell die Regelungen zu Tierversuchen überarbeitet. Das Ergebnis ist jedoch ernüchternd. Es gibt auch künftig keine wirksame rechtliche Einschränkung von Tierversuchen. Mit Stellungnahmen auf nationaler Ebene fordern wir Schritte in Richtung Ausstieg aus dem Tierversuche, auf EU-Ebene arbeiten wir in der Europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen mit, die sich u.a. mittels politischer Lobbyarbeit für die Abschaffung von Tierversuchen einsetzt.

Besonders unterstützt werden tierversuchsfreie Projekte in Osteuropa. Was genau macht der Verein dort und wieso in diesen Ländern?
In Osteuropa besteht ein großes Potential, Tierversuche im Studium durch tierversuchsfreie Lehrmethoden zu ersetzen. So können mit relativ einfachen Mitteln konkret Tierleben gerettet werden. Viele Hochschullehrer sind gegenüber den modernen, computergestützten Lehrmethoden aufgeschlossen. Meist mangelt es nur an Informationen und Finanzmitteln. Wir schaffen auf beiden Ebenen Abhilfe. Die Unis wurden mit tierversuchsfreien Lehrmethoden wie Filmen und Computerprogrammen sowie Hardware in Form von Laptops und Beamern ausgestattet. Im Gegenzug verzichten sie auf die entsprechenden Tierversuche. Insgesamt sind es bereits über 20.000 Wirbeltiere wie Ratten, Frösche, Kaninchen und auch Hunde und Katzen sowie fast 7.000 Wirbellose wie Insekten und Krebse pro Jahr, die durch unser Projekt nicht mehr getötet werden.

Aber wieso funktioniert das Projekt besonders gut in Osteuropa? Auch in Deutschland (und vielen anderen Ländern) werden ja noch in der Lehre Tiere eingesetzt, wären hier nicht dieselben Projekte hilfreich?
Das Interesse ist dort besonders groß. In Deutschland wäre es natürlich erstrebenswert, ein vollständig tierverbrauchsfreies Studium zu erreichen, was wir ja auch fordern. Oft ist es aber so, dass die Professoren/Kursleiter an ihren tierverbrauchenden Praktika festhalten und modernen, tierfreien Lehrinhalten weniger offen gegenüber stehen.

Angenommen morgen würden in Deutschland alle Tierversuche abgeschafft. Würden dann nicht einfach alle Forscher_innen ins Ausland gehen und dort weiter an Tieren (eventuell sogar noch in schlechteren Haltungsbedingungen) testen?
Zahlreiche Beispiele, führen vor Augen, dass Tierversuche dem Menschen mehr schaden, als dass man ihnen einen Nutzen zubilligen könnte. Ein Verbot von Tierversuchen würde endlich Forschungsmöglichkeiten Platz machen, die zugleich ethisch vertretbar, modern und anwendungsorientiert sind.
In den letzten Jahrzehnten wurden unzählige tierversuchsfreie Forschungsmethoden entwickelt. Bei den In-vitro-Verfahren werden potentielle Wirkstoffe an schmerzfreier Materie wie Mikroorganismen oder menschlichen Zellen und Gewebe getestet. In ausgeklügelten Computersimulationen wird die Verstoffwechslung einer Substanz im menschlichen Körper detailliert dargestellt. Auf Biochips werden wie in einem künstlichen Minimenschen Auswirkungen auf bestimmte Organe oder möglicherweise schädliche Effekte erforscht. In einem System aus winzigen Gängen und Kanälen werden menschliche Zellen zum Beispiel von Darm, Haut oder Leber angesiedelt und der zu testende Wirkstoff zirkuliert durch den so geschaffenen Organismus. Solche Forschungsmethoden sind nicht nur schneller, billiger, reproduzierbarer (wiederholbarer) und zuverlässiger. Sie liefern zudem – im Gegensatz zum Tierversuch – für den Menschen relevante Ergebnisse. Viele tierversuchsfreie Methoden werden bereits angewandt, doch ihr Potential ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Das Arzneimittelrisiko könnte drastisch gesenkt werden, indem neue Wirkstoffe zunächst mit einer Kombination verschiedener solcher Testverfahren geprüft und anschließend beispielsweise wie beim Microdosing gefahrlos an freiwilligen Probanden und Patienten erprobt werden. Hierbei wird ein Wirkstoff in einer so kleinen Dosis verabreicht, dass diese keinerlei pharmakologische Wirkung hat. Der Stoffwechsel im menschlichen Körper kann jedoch mit hochempfindlichen Analysemethoden verfolgt werden.
Aufschlussreich sind auch Bevölkerungsstudien, die die Erforschung von Zusammenhängen zwischen bestimmten Erkrankungen und der Ernährung, dem Lebensstil oder sozialen Faktoren erlauben. Die sorgfältige Beobachtung kranker Menschen liefert wertvolle Erkenntnisse und trägt entscheidend zum Verständnis der Entstehung menschlicher Krankheiten bei. All das kann ein Tierversuch nicht abbilden. Solange sich jedoch die medizinische Forschung auf Tierversuche stützt, wird es auch weiterhin falsche Heilsversprechungen und folgenschwere Medikamenten-Skandale geben.

D.h Ärzte gegen Tierversuche sind der Meinung eine nationale Abschaffung der Tierversuche würde dem jeweiligen Land eine Vorreiterrolle zu kommen lassen, es würden Gelder für tierversuchsfreie Forschung frei werden und andere Länder würden letztlich nachziehen? Letztlich würde sich also die Art und Weise wie Forschung gemacht ändern und Forschung würde sich nicht danach ausrichten wo Tierversuche noch erlaubt sind?
Am besten wäre ein internationales Verbot aller Tierversuche. Aber auch ein nationales Verbot könnte bewirken, dass ein Land eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Wenn in die tierversuchsfreie Forschung all das Geld investiert werden würde, das bislang in Tierversuche fließt, würde dies sicher sehr zu einem schnelleren Ende der Tierversuche beitragen.

Tierversuche werden auch zum Test von Kosmetika genutzt. In der Schweiz ist dies seit 1995 nicht mehr zulässig (3). Wie ist aktuell die Situation in Deutschland/ Europa?
In der EU tritt mit der Kosmetikrichtlinie ein stufenweises Verbot von Kosmetiktierversuchen in Kraft. Die letzte Stufe ist ab März 2013 ein Verkaufsverbot für an Tieren getestete Kosmetikprodukte und -rohstoffe für drei noch erlaubten Tiertests (Giftigkeit bei wiederholter Gabe, Reproduktions-Giftigkeit, Toxikokinetik (Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung einer Substanz)). Die EU wollte diese Frist um weitere 10 Jahre verschieben. Der seit Nov. 2012 neue Kommissar für Gesundheit und Verbraucher kündigte an, an der 2013-Frist festhalten zu wollen.

Auch an der Uni Bremen werden seit Jahren Versuche an Affen gemacht. Die Versuche sind sehr umstritten. Zuletzt entschied das Oberverwaltungsgericht Bremer die Versuche für zulässig, die Makaken seien einer „allenfalls mäßige Belastung“ ausgesetzt. Die Versuche finden im Rahmen sogenannter Grundlagenforschung statt. Die Argumentation ist hier häufig, dass Tierversuche nötig seien um das biologische Zusammenspiel komplexer Organismen nachvollziehen zu können, das wiederum sei nur an lebenden Tieren möglich. Wie könnte in diesem Forschungsfeld Forschung ohne Tierversuche aussehen und ist das überhaupt möglich?
In Deutschland findet seit rund 30 Jahren Grundlagenforschung am Hirn von Affen statt, vorgeblich, um damit die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu ergründen. Die Heilung menschlicher Krankheiten wird dabei vage in Aussicht gestellt, einen Nutzen, z.B. in Form von anwendbaren Therapien für den Menschen, gibt es jedoch nicht. Die Experimente werden zum reinen Erkenntnisgewinn einzelner Forscher durchgeführt. Der Schädel der Tiere wird aufgebohrt, um Messelektroden in das Gehirn einzuführen. Im Affenstuhl fixiert müssen die Tiere mit angeschraubtem Kopf jeden Tag stundenlang Aufgaben am Bildschirm lösen. Da die Tiere nicht bereit sind, sich freiwillig solchen Torturen auszusetzen, werden sie durch Flüssigkeitsentzug zur Mitarbeit gezwungen. Wenn sie die Aufgaben nach Forscherwunsch erfüllen, bekommen sie über einen Schlauch etwas Flüssigkeit eingeflößt. Die unter quälendem Durst leidenden Affen fügen sich in ihr Schicksal und erdulden nur so die stundenlange Kopffixierung.
Diese Versuche sind nicht nur besonders grausam, sondern auch für den medizinischen Fortschritt irrelevant, da eine zuverlässige Übertragung von Erkenntnissen aus der Affenforschung auf den Menschen schon allein aufgrund der großen Unterschiede nicht möglich ist. Sinnvolle Erkenntnisse über das menschliche Gehirn lassen sich dagegen tierversuchsfrei gewinnen. An der britischen Universität Durham bsp.weise wird mittels Transkranieller Magnetstimulation Wahrnehmung, Lern- und Gedächtnisverhalten an Probanden gefahrlos erforscht. Anstatt Tiere künstlich zu schädigen oder ihre Gehirnfunktionen zu untersuchen, können Bevölkerungsstudien zu sinnvollen Erkenntnissen im Bereich der neurodegenerativen Krankheiten führen. Mit bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie lassen sich außerdem das Gehirn von gesunden und kranken Menschen sowie seine Funktionen dreidimensional detailgenau darstellen. Die Forschung an Zellen aus menschlichen Hirntumoren, wie sie bei Operationen anfallen, bietet beste Voraussetzungen, um Therapien für Erkrankungen des menschlichen Gehirns zu entwickeln. Die Wechselbeziehung zwischen Hirnzellen und die Signalweiterleitung funktionieren im Zellsystem wie im lebenden Organismus, können jedoch ohne Tierleid viel besser erforscht werden.

Tierversuche finden meist hinter verschlossenen Türen, fernab der Öffentlichkeit statt. Was kann Ihrer Meinung nach Jede_r Einzeln_e gegen Tierversuche machen?
Jeder kann helfen, Politiker auf Bundes- oder EU-Ebene aufzufordern, die tierversuchsfreie Forschung zugunsten von Tier und Mensch mit höchster Priorität zu fördern und z.B. die Medien durch Leser- oder Zuschauerbriefe zu kritischen Berichterstattungen zu bewegen. Auch ist es wichtig, die Mitmenschen über das Thema Tierversuche und die viel besseren Möglichkeiten der Forschung ohne Tiere zu informieren und mit Familie und Freunden zu diskutieren. Jeder kann zudem aktiv in unserem oder einem anderen Verein mitarbeiten oder Mitglied werden. Damit kann jeder einfach und wirkungsvoll dazu beitragen, der Politik und den Tierexperimentatoren die rote Karte zu zeigen, eine gute Medizin für den Menschen einzufordern und darüber hinaus Tiere vor einem grausamen Schicksal zu bewahren.

Anmerkungen:
(1) In den 50er Jahren wurde Contergan als Beruhigungs- und Schlafmittel an Schwangere ausgegeben, das Arzneimittel rief massive Wachstumsstörungen der Föten hervor, in der Folge kam es zu starken Fehlbildungen der Neugeborenen. All das konnte in zahlreichen vorhergehenden Tierversuchen nicht nachgewiesen werden. Der Contergan-Skandal ist dabei aber nur ein Beispiel von vielen Fällen in denen Versuche an Tieren nicht die schädigende Wirkung für den Menschen vorhersagen konnten.
(2) Es geht eher darum möglichst viele Veröffentlichungen vorzuweisen, weniger darum, ob mit der Forschung wirklich Menschen geholfen werden kann.
(3) Quelle: forschung-leben.ch