Die Geschichte von Levent Tekin, der einen Einbürgerungstest bestehen muss, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Eine Komödie, die die deutsche Einbürgerungspraxis aufs Korn nimmt.
UNDERDOG: Güclü, Angela Merkel hat mal gesagt, “BürgerInnen dieses Landes zu werden, sei eine wichtige Entscheidung”. Warum war dir diese Entscheidung wichtig?
Die Entscheidung war mir nicht wichtig. Millionen von Menschen auf der Welt sind auf der Flucht aus verschiedenen Gründen wie Krieg, Armut, Hunger, politischen Gründen oder auf der Suche auf ein sicheres oder besseres Leben. Wo man am Ende landen wird ist meistens unklar. Wenn man irgendwo landet, dann versucht man einfach sein Leben in einer neuen Umgebung fortzusetzen. Falls die Staatsbürgerschaft eines Landes zu bekommen, das Leben erleichtert oder neue Möglichkeiten bietet, was in den meisten Fällen stimmt, dann möchte man sie einfach haben. Das ist alles. Was zählt, ist nicht die Farbe oder die Sprache des Ausweises, sondern, ob es für das Leben etwas bringt. Ich würde dieses Zitat so interpretieren, dass Merkel damit nicht Ausländer, sondern Deutsche anspricht. Wenn man die Welt Deutschlandzentriert sieht, dann ist die Staatsbürgerschaft dieses Landes zu haben automatisch ein wichtiges Privileg. Und dieses Privileg hat nicht jedeR auf der Welt.
UNDERDOG: Fühlst du dich eigentlich “integriert” oder gibt es für dich Beispiele im Alltag, wo du isoliert, ausgegrenzt bist und wirst?
Die Diskussion um die Integration hat auch andere Dimensionen. Man redet oft über die Integration von Ausländern, was in der Tat unabhängig davonn was man davon versteht und wie man damit umgeht, ein Thema ist. Für mich gibt es aber eine noch wichtigere Diskussion, ob und wie die einzelnen Menschen unabhängig von seiner Nationalität wirklich in dieser Gesellschaft Integriert sind. Zur dieser Diskussion gehören auch Deutsche. Die Frage ist einfach. Kann man von einer Gesellschaft reden, in der die Menschen, inklusive Deutsche, wirklich integriert sind oder reden wir von einer Gesellschaft, in der die Menschen hoch individualisiert leben? Meine Betrachtung ist eher die zweite. Nach meiner Meinung kann keiner sich in so einer Gesellschaft integriert fühlen. Dafür muss man nicht Ausländer sein. Ausländer erleben das Problem noch schwerer. Da spielen weitere politische Faktoren eine Rolle.
Es gibt im Alltag Beispiele, wo ich isoliert und ausgegrenzt bin. Ich kann aber nicht für alle Beispiele genau sagen, ob der Grund dafür „Ausländer sein“ ist oder ob es eine „übliche“ Ausgrenzung/Isolation in der Gesellschaft ist, die auch für Deutschen gelten.
UNDERDOG: Du hast ja die deutsche Staatsbürgerschaft. Welche konkreten Schwierigkeiten/Probleme siehst du, “deutsch sein” zu bemessen?
„Deutsch sein“ hat je keine klare Definition. Eins kann ich aber definitiv sagen. Die Staatsbürgerschaft hat mit das oder dies Sein nichts zu tun. Sie erleichtert das Leben der Menschen in dem Land, wo sie leben. Was vielleicht schwierig sein könnte ist, das Gewöhnen an diesen Erleichterungen.
UNDERDOG: Solingen, Mölln, Ludwigshafen. Ein deutsches Sommermärchen sieht anders aus. Wenn es Anschläge auf Menschen gibt, sieht sich die Politik auf den Plan gerufen, diplomatische Beziehungen zu stabilisieren. Welche Möglichkeiten und Angebote könnten die Ängste überwinden, Integration in deinem Viertel zuzulassen, welche Umstände erschweren die Integration?
Du meinst die Politik, die von beiden Staaten bestimmt wird. Diese Politik versucht je nach aktueller Situation die Beziehungen zu stabilisieren oder eskalieren. Da spielen die wirtschaftlichen oder politischen Interessen beider Parteien eine Rolle. Das ist die Politik der türkischen und deutschen Ackermanns, Zumwinkels oder ihren politischen Vertreter. Nicht meine, nicht unsere. Genau das erschwert das Zusammenleben verschiedener Völker. Diese Politik beeinflusst wiederum unsere Beziehungen. Um die Ängste zu überwinden muss man versuchen diese Politik abzuschaffen. Sonst hat man keine Ruhe.
Um die „Integration“ in meinem Viertel oder in anderen Vierteln zuzulassen gibt es eine einzige Möglichkeit: Das Bewusstsein für einen gemeinsamen Kampf gegen gemeinsamen Probleme muss geschaffen werden. Gegen Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Armut, Überwachung, Krieg, Diskriminierung usw. Weil beide Seiten (Deutsche und nicht Deutschen) davon betroffen sind.
UNDERDOG: Sind Traditionen und Religion ein Stolperstein für einen integrativen Gedanken?
Im Grunde nicht. Entweder werden sie schwere Stolpersteine oder ein Reichtum einer Gesellschaft in einem Zusammenleben verschiedener Völker. Das Entscheidende ist, wie man damit umgeht. In der aktuellen Lage sind sie aber echte Stolpersteine.
UNDERDOG: Warum ist das deutsch-türkische Verhältnis schwierig geworden?
Nach meiner Meinung kann man nicht von einem „deutsch-türkischen Verhältnis“ reden. In diesem Verhältnis gibt es immer wenigstens zwei Dimensionen. Die politische, wirtschaftliche Verhältnisse der beiden Staaten und die Verhältnisse der Menschen, die hier zusammenleben. In dem Sinne kann man diese Verhältnisse nicht in einen Topf schmeißen und auch nicht sagen, dass das deutsch-türkische Verhältnis schwierig geworden ist.
UNDERDOG: Die sozialdemokratische Landesregierung hatte in Hessen Kurse namens “Deutsch für Ausländer” ausgerichtet. Heute will Roland Koch kriminelle Ausländer abschieben. Warum ist für die Satire das geeignete Mittel, auf das Thema “Integration” aufmerksam zu machen?
Und noch, diese kriminellen „Ausländer“ sind Jung und interessanterweise in Deutschland aufgewachsen. Also, das ist ein Problem, das wir hier „von innen“ haben. Mir bleibt nicht viel Übrig, gegenüber dieser realen Satire etwas zu sagen. Das gilt natürlich auch für die Einbürgerungstests. Mein Versuch war, diese Absurdität bisschen zu abstrahieren und das mit Übertreibungen, Skurrilität und Komödie zu erweitern. Es kommt zusätzlich natürlich Antworten gegen Testfragen, die manchmal wider Fragen werfen, die diesmal aber nicht vom Einbürgerungskandidat, sondern vom Zuschauer zu beantworten oder darüber nachzudenken sind. Ich habe gedacht, dass ich das am besten mit einer Satire machen kann, weil es einfach passt um Kontraste zu zeigen. Das hätte man vielleicht anders machen können.
UNDERDOG: Angela Merkel pochte am 14. Juli 2006 beim ersten “Nationalen Integrationsgipfel” auf Mitwirkung der Zuwanderer, um Integration zu ermöglichen. Mit dem in Hessen eingeführten Gesprächsleitfaden sollte die Integration aber verordnet werden. Wo siehst du Ressourcen für MigrantInnen, bei der Integration mitzuwirken?
Wie ich vorher gesagt habe, der gemeinsame Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus der Deutschen und nicht Deutschen ist die einzige Lösung. Da darf aber keine dieser Gruppen fehlen.
UNDERDOG: Dein Kurzfilm wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Auf welche Auszeichnung bist du besonders stolz?
Ich freu mich auf jede Auszeichnung. Es freut mich aber besonders, dass der Film so viele Publikumspreise gewonnen hat. Publikumspreise werden nach den Vorführungen der Filme direkt mit Publikumsstimmen gewählt. Von daher sind diese Preise für mich ein Ergebnis dafür, dass die Regierten mit den Regierenden nicht einverstanden sind. Diese Situation könnte auch helfen die Frage mit dem „deutsch-türkischen Verhältnis“ zu verstehen.
Der Film hat auf zwei Festivals Jurypreise gewonnen. Einmal hatte die Jury gesagt, dass der Film keine Angst hätte, in unseren Gesellschaft an Tabus zu rühren. Es hat mich auch sehr gefreut. Und die Jury hatte auch keine Angst, solche Filme auszuzeichnen.
UNDERDOG: Du titelst im Film “an Erinnerung an Mustafa Silar”. Warum ist er eine wichtige Person in deinem Leben?
Er ist eine der Darsteller des Films und mit 58 Jahren im November 2007 aus Krankheit gestorben. Als wir gedreht haben, hat er trotz immer länger werdenden Drehzeiten bis zum Ende mitgemacht und versucht, seine Rolle mitzugestalten. Und das hat er auch sehr gut gemacht. Wir kannten uns schon lange und er hatte trotz seinem fortgeschrittenen Alter und seiner Krankheit weiter für eine gerechte Welt gekämpft.
UNDERDOG: Du hast ein leerstehendes Asylbewerberheim als Location ausgesucht. Die kalte, bedrohliche Atmospähre ist gut eingefangen und bezeichnet das “Ausgeliefert sein” des Einzelnen im Bürokraten-Mühlenrad. Aus dem trockenen Dialog ergibt sich ein Wortwitz, der den Irrsinn und Unnutzen des Fragebogens zum Einbürgerungstest verdeutlicht. Wird Levent Tekin am Ende ein “richtiger Deutscher”?
Einbürgerungstest ist für Levent Tekin in seinem Leben nur eine Hürde, die er irgendwie aufräumen muss. Er hatte schon in seinem Lebensabschnitt in Deutschland solche Hürden aufgeräumt. Diesmal muss er so sein, wie man von ihm verlangt, wenigstens bis er den Einbürgerungstest bestanden hat. Wenn die Menschen weiter so respektlos aber so verdachtvoll behandelt werden, wird er nie weder „richtiger Deutscher“ noch „richtiger Türke“ werden. Das ganze verursacht nur mehr Verfremdung und mehr Misstrauen.
UNDERDOG: Auch die englische THE TIMES hat den hessischen Einbürgerungstest gemacht und dabei u.a. die deutsche Nationalhymne mit den Worten “Deutschland über alles” eingeleitet. Wieviel Patriotismus ist deiner Meinung nach notwendig?
Ich weiß nicht, warum The Times die Nationalhymne so eingeleitet hat. In dem Film ist es aber eine absichtliche Übertreibung, die wahrscheinlich von jedem verstanden wird, was da gemeint wird. Nach meiner Meinung ist der Patriotismus gar nicht notwendig.
UNDERDOG: Wie definierst du den Begriff “Heimat”?
Schwer zu definieren. Wikipedia sagt: „Es ist die Gesamtheit der Lebensumstände, in denen ein Mensch aufwächst“. Die Frage ist, was ist denn, wenn man „diese Gesamtheit“ verlässt oder verlassen muss? Bleibt sie für immer als Heimat? Ich denke nicht. Sie bleibt immer in Erinnerungen, man schafft aber doch neue „Gesamtheiten“.
UNDERDOG: Ede Stoiber als deutschen Philosophen zu nennen, ist schon vortrefflich. Glaubst du an die Macht des Wortes, an der Kunst der verbalen Verführung?
Ich würde das nicht so pauschalisieren, aber in diesem Film hat das Wort, glaube ich, wirklich die Macht.
UNDERDOG: Wie bildest du dich politisch weiter?
Ich muss wie viele Andere arbeiten um mein Lebensunterhalt zu verdienen. Und mein Beruf hat nichts mit dem Film zu tun. So bleibt nicht viel Zeit übrig, um mich politisch weiterzubilden. Ich versuche momentan nur von aktuellen Geschehen nicht entfernt zu bleiben und mein Gedächtnis nicht zu verlieren, wenn es um Politik geht.
UNDERDOG: So mancher Neonazi würde den Test nicht bestehen. Müsste diese Personengruppe folglich ausgewiesen werden?
Diese Frage kann man am besten Roland Koch in Hessen oder Günther Oettinger in Baden Württemberg als Vertreter der CDU-Landesregierungen fragen, was sie damit machen würden. Man kann natürlich weiter fragen, was sie überhaupt gegen Neonazis tun oder vorhaben. Koch war ja mit der Unterstützung der CDU Spitze besonders interessiert an kriminellen jugendlichen „Ausländern“ bei den letzten Wahlen. Man hat aber von ihm kein Wort über jedes Jahr neue Rekordzahlen erreichende Neonazi Kriminalität gehört.
UNDERDOG: Welche weiteren Projekte sind geplant, gibt es einen abendfüllenden Spielfilm?
Ich arbeite momentan an einer Geschichte, die ich als Kurzspiel- oder Dokumentarfilm drehen will. Das wird von Möglichkeiten abhängen, was von der Geschichte wird. Mein Wunsch ist aber der Kurzspielfilm. Inhaltlich geht es im weitesten Sinne um Globalismus und Flüchtlinge. Diesmal ist es keine Satire, sondern eine Tragödie.
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