NOISY NEIGHBOURS #38

   NOISY NEIGHBOURS #38
76 DIN A 4 Seiten; €1,50.-
Carsten Collenbusch, Am Schlossplatz 23, 53125 Bonn
www.noisy-neighbours.com
Gehen uns langsam die Helden aus? Obelix aka Gérard Depardieu ist nun wahrlich kein Held, wollte er doch lieber Frankreich verlassen, weil er der sozialistischen “Reichensteuer” entfliehen wollte. Saufen, Randale und Pöbeleien. Ist das schon wieder Punk? Und HEINO? Der wird bestimmt kein Russe! Also sucht das N.N.-Team weiter nach Nerds, die jenseits des Mainstreams Substanzielles kreieren. Wie z.B. RHYTM POLICE, die sich nicht nur extra falsch schreiben, sondern auch ihren “Indie”-Charakter bewahren und mit ihrer Musik “die Menschen tanzen lassen”. Soul hat auch JJ GREY, der seine Musik aus einen Mix aus James Brown und Metallica beschreibt, weiß, dass sich die Erde um die Sonne dreht und alles Schöne nebeneinander liegt. Bayern ist auch schön, glauben SIMEON SOUL CHARGER und haben ihre großstädtische Heimat gegen die tiefste Provinz in Bayern getauscht. Auf dem Bauernhof können sie “reflektieren, neue Musik suchen und daraus ein gemeinsames Stück Kunst erschaffen”. SEX JAMS warten indes auf den “Scheiß-drauf-Moment” und finden, in Wien geht einiges ab, “nicht nur was Musik betrifft, sondern auch Kunst im Allgemeinen”. Richard Alexander Jung (Dr. Ring Ding) posaunt dann lieber und bewegt sich “in den unterschiedlichen jamaikanischen Genres”, interessiert sich auch für französische Chansons und hat einen leichten Hang zum Hedonismus. Charlotte und Matze sind ME AND MY DRUMMER und haben immer zusammen gejammt, Bälle zugeworfen und sich gegenseitig inspiriert, was dazu führt, sich an einem Song “wund zu arbeiten”. SCREED sind auf der Wies’n, schmeißen sich beizeiten auch in Lederhosen, sehen sich nicht gleich als Weltverbesserer und sehen nicht aus wie IGGY POP. Visionen hat Mr. Mäkkelä und weiß, dass sich “ein Großteil der deutschen sogenannten Independent-Label-Landschaft seit ihren Anfängen in ein Dilemma befindet”. Das muss der Plattenladen- und Labelbetreiber erst mal erklären. Katharina Schmidt interessiert sich für iranische ProgRockmusik und interview MIST WITHIN, die über die herrschende Diktatur und die Auswirkungen auf Musiker und Menschen berichtet und über die Songs, deren Texte “tief aus der Seele kommen” und beschreiben, wie Menschen mit vielen Grenzen leben müssen.
Gesamteindruck: Neben diesen kurzen, kompakten Interviews sind es vor allem die ausführlichen Reviews zu Comics, Literatur, Musik, (Gay-)Filme, die einen qualitativ hohen Wert besitzen, da das N.N.-Team fundiertes Wissen und konstruktive Kritik gebraucht, um das “Produkt” und die verantwortlichen “Künstler_innen” niveauvoll, aber ohne moralische Überlegenheit zu entwerten. Darüber hinaus gefällt mir das rhetorische Geschick von Andrasch Neunert und seine analytische Denkweise. Leider werden auch Tonträger von KB-Records (z. B. MARTENS ARMY) und BANDWORM (ROUGHNECKS) rezensiert, ohne kritisch auf die Labelpolitik und die Grauzone einzugehen, in denen sich erwähnte Bands und Labels bewegen. Wer nicht so sehr in dieser Grauzonen-Thematik auskennt, könnte sich aufgrund der Bewertung von MARTENS ARMY (9 Punkte) für die Band interessieren. Die Band hat überhaupt keine Berührungsängste zur rechtsoffenen Grauzone bzw. zum Rechtsrocklager, wie u.a. Konzerte mit Bands wie „Haggis“, „Krawallbrüder“, „Flat Sprockets“ bis hin zu offenen Nazibands wie „Headcase“ und „The Pride“ mit denen sie im Boneheadkonzertort und Neonazitreffpunkt „Skinhouse Menfis“ spielten.
Das N.N. eröffnet somit Schnitt- und Anschlussstellen zwischen neonazistischen und weiteren diskriminierenden, menschenfeindlichen Erscheinungen. Da sollte das N.N. noch mal nachbessern und in Zukunft klare Grenzen ziehen, um Verbindungslinien zur Grauzone zu vermeiden.