Ein sozialer Wandel ist möglich
Seit den 50er Jahren ist die Nachfrage nach tierischen Produkten in Deutschland gewachsen. Dies führte zu einer Ausweitung der Nutztierhaltung, bei der die Tiere durch Züchtung an das arbeitswirtschaftlich günstigste Haltungssystem angepasst werden sollten. Auf diese Weise entstanden Käfighaltungen bei den Legehennen, Anbindehaltungen für Kühe und für Sauen. Unter dem zunehmenden Einfluss von Tierschutzorganisationen, die in der Öffentlichkeit verstärkt auf Missstände und wenig tiergerechte Haltungsformen aufmerksam machten, wuchs auch bei den Verbrauchern der Wunsch nach Produkten von „glücklichen“ Tieren.
Der höhere Preis ist nicht nur oft kein Kaufhemmnis, sondern kann im Gegenteil ein Kaufanreiz sein. Das nennt mensch demonstrativen Konsum. Dieser wird vor allem von jeneN praktiziert, die sich mit den „tierschutzgerechten“ Produkten ein gutes Gewissen erkaufen. Dieser zusätzliche Nutzen, den solche Produkte bieten, lässt die Zahlungsbereitschaft ansteigen und das Gewissen beruhigen.
Die Verbraucher_innen – wenn sie vom Zusatznutzen bzw. „Qualitätsfaktor“ der „tierschutzgerechten“ Produkte überzeugt sind – sind bereit, deutliche Aufpreise zu zahlen. Viele Untersuchungen nehmen im Schnitt Aufpreise von 20 % an, möglich sind jedoch bis zu 300 %. Die grundsätzliche Zahlungsbereitschaft für Tierprodukte mit dem „besonderen Merkmal“ „aus artgerechter Haltung“ liegt bei 51 % bis 89,2 % und hat damit vor den andern Merkmalen in dieser Untersuchung die höchste Zahlungsbereitschaft überhaupt (
1
). Bei Tierprodukten mit der Bezeichnung „aus artgerechter Haltung“ hat ein bis zu 10%iger Preisaufschlag eine 49,7%ige Akzeptanz, ein bis zu 30%iger Preisaufschlag eine 39,9%ige Akzeptanz, ein bis zu 50%iger eine 8,1%ige und ein über 50%iger Preisaufschlag eine 2,3%ige Akzeptanz. Die ethisch-moralische Akzeptanz steht dennoch im krassen Widerspruch, einerseits „Biofleisch“ konsumieren zu wollen, andererseits die „Nutztierhaltung“ in Frage zu stellen. Grundsätzlich geht es diese Klientel um ein humanes Töten der Tiere, die nicht leiden sollen. In dieser Charakterisierung fehlt eindeutig ein direkter Bezug zur
Abschaffung der Tierausbeutung
. Anstelle sich von
politischen
und
gesetzlichen
Vorgaben zu orientieren, ist ein grundlegender
sozialer Wandel
nur möglich, wenn mensch sich nicht auf Reformen der Tierausbeutungsindustrie beruft, um eine Verbesserung zu erwarten, sondern sollte der konsequente Weg des
Abolitionismus
(
2
)sein, der als auf einer kompromisslos antispeziesistischen Grundlage den Tierrechtsgedanken betont. Demzufolge ist Veganismus der Mindeststandard, den mensch fordern und fördern soll. Der Abolitionismus widerspricht, dass die Abschaffung über Reformen erreichbar sei, und setzt stattdessen auf schrittweise Veränderungen, wie die Änderung der Gesellschaft durch die Überzeugung einzelner Personen und die (Teil-)Abschaffung von Ausbeutungsbereichen. Um die Tierausbeutungsindustrie abzuschaffen benötigen wir also keine
reformistischen Ziele
, sondern
Aktionsformen
, die sich am Prinzip des Abolitionismus orientieren. Dazu gehört im Bereich der Wirtschaft, dass keine Verhandlungen über Reformen mit Tierausbeuter_innen geführt werden. Diese akzeptieren lediglich Änderungen, die ihnen in irgendeiner Form wiederum hilfreich sind, sei es durch die Steigerung der Produktivität oder als Methode, durch ein besseres Image die Verkäuflichkeit der Produkte zu verbessern. Jegliche Verhandlungen oder Zusammenarbeit mit Unternehmen ist abzulehnen.
Die Befreiung von Tieren ist nicht in einer Größenordnung möglich, die wirtschaftlich relevanten Schaden anrichten kann. Dennoch zählt jedes gerettete Leben und wenn diese Befreiungen dokumentiert werden, kann dies außerdem ein wirksames Mittel zur Aufklärungsarbeit darstellen. Wichtig ist, bei der Veröffentlichung (z.B. online gestellte Dokumentation oder Pressemitteilung) zu verdeutlichen, dass dies keine Kritik an der jeweiligen Haltungsform, sondern an der Tierausbeutung im Allgemeinen geübt wird, sowohl an allen anderen Haltungsformen dieser Spezies (auch „Alternativhaltungen“) wie auch jeder Ausbeutung anderer Spezies. Dabei sollte vermittelt werden, dass jeder einzelne bereits durch sein Veganwerden helfen kann (nicht jedoch, indem er vegetarisch würde oder „weniger“ Tierprodukte oder solche aus anderen Ausbeutungsformen konsumiert).
Demgegenüber steht die weltweite Zunahme am Fleischverbrauch. In den vergangenen 50 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch vervierfacht von 70 Millionen Tonnen im Jahr 1961 auf mittlerweile 283 Millionen Tonnen pro Jahr(
3
).
Verbraucher_innen fragen zunehmend nach Masthähnchen und Masthähnchenprodukten. Diese werden fast ausschließlich in intensiver Bodenhaltung erzeugt. In Niedersachsen werden Mastanlagen mit bis zu 100.000 Tieren genehmigt und gebaut. Im zweitgrößten Flächenland gilt die A7 sogar schon als Hähnchen-Highway. Mensch muss nur drei oder vier Kilometer in der Gegend von Wildeshausen und Großenkneten fahren und entdeckt wieder eine neue, blitzblanke, mit Metallzäunen abgeriegelte Hähnchenmast. Morgens und abends kommt ein Mitarbeiter, kümmert sich um den Stall und sortiert tote Tiere aus. Bei einem Schwund von vier Prozent in der 42-tägigen Mastzucht kann sich jeder ausrechnen, was aus der 84 000-Tiere-Anlage entsorgt werden muss: 80 Sterbefälle am Tag. Die unter David McAllister regierende CDU sieht den Agrarsektor als „Schlüsselbranche“, wollte mit ihm „internationale Märkte erschließen“ und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern. Wenn mensch erreichen will, dass weniger Tiere sterben, muss mensch die Nachfrage senken. Im Moment ist die absolute Mehrheit speziesistisch und nimmt als Konsument an der täglichen Tierausbeutung teil. Wirksame Veränderungen gegen die Tierausbeutungsindustrie, die z.B. die Produkte deutlich teurer werden lassen würden, würden die unvegane Lebensweise dieser Menschen erschweren. Die Reformen, die in einem solchen gesellschaftlichen Klima durchsetzbar sind, haben deshalb kaum oder keine schädigende Wirkung auf die Tierausbeutungsindustrie. Was dagegen getan werden muss, ist einen signifikanten Anteil der Bevölkerung vom Antispeziesismus und damit vom Veganismus zu überzeugen. Erst auf dieser Grundlage, mit diesem Rückhalt aus der Bevölkerung, sind wirksame politische Entscheidungen gegen die Tierausbeutungsindustrie realistisch.
Wie kann ein sozialer Wandel erreicht werden ?
Die Politik folgt im Wesentlichen dem sozialen Wandel und geht ihm nicht voraus, wenn es Entscheidungen betrifft, die die Lebensbereiche der Menschen stark betreffen. Der die Tierrechte betreffende Bereich der Ernährung gehört z.B. dazu. Die Beeinflussung der Politik kann daher nur so weit gehen, wie ein signifikanter Anteil der Bevölkerung bereits gegangen ist. Im Moment ist die absolute Mehrheit speziesistisch und nimmt als Konsument an der täglichen Tierausbeutung teil. Wirksame Veränderungen gegen die Tierausbeutungsindustrie, die z.B. die Produkte deutlich teurer werden lassen würden, würden die unvegane Lebensweise dieser Menschen erschweren. Die Reformen, die in einem solchen gesellschaftlichen Klima durchsetzbar sind, haben deshalb kaum oder keine schädigende Wirkung auf die Tierausbeutungsindustrie. Was dagegen getan werden muss, ist einen signifikanten Anteil der Bevölkerung vom Antispeziesismus und damit vom Veganismus zu überzeugen. Erst auf dieser Grundlage, mit diesem Rückhalt aus der Bevölkerung, sind wirksame politische Entscheidungen gegen die Tierausbeutungsindustrie realistisch.
Das soll nicht heißen, es gäbe keine politischen Entscheidungen, die gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt würden. Doch hat dies den Grund, dass sie von zwei Interessengruppierungen gefordert werden, die einen großen Einfluss auf die Politik haben, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung darstellen. Das ist zum einen die Religion und zum anderen die Wirtschaft (in diesem Fall die Tierausbeutungsindustrie selbst). Da die Religion in den angeblich säkularen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz weiterhin großen Einfluss auf die Politik hat, kann sie politische Entscheidungen beeinflussen. Das jedoch ist für die Tierrechte nicht von Vorteil, da Religionen ausgesprochen anthropozentrisch und damit tierfeindlich sind, insbesondere das bei uns dominante Christentum. Auch der andere Bereich, die Wirtschaft, ist nicht von Vorteil, da die Tierausbeutungsindustrie die Politik in ihrem Interesse – und damit konträr zum Interesse von Tierrechtlern – beeinflusst.
Das heißt nicht, dass mensch Wirtschaft und Politik als Ziele ausblenden soll. Es wäre jedoch ineffektiv, den Fokus auf sie zu setzen.
Anmerkungen:
(1) Erster Wert: Context Marketing 2010, 6; zweiter Wert: Kuhnert et al. 2002, 10.
(2) Abolitionismus: Im Unterschied zu reformistischen Bestrebungen des Tierschutzes will der vegane Abolitionismus die Befreiung der Tiere aus ihrem Sklav_innenstatus. Es geht nicht um größere Käfige, sanftere Schlachtmethoden, es geht konkret um die Abschaffung von Käfigen, die Abschaffung der Tierhaltung und -ausbeutung.
(3)
http://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichtes/fleisch.html